Kurzgeschichten
Das wahre Leben schreibt die besten Stories.

'ER '


Es liegt mit Sicherheit 33 Jahre zurück...

Ich ging meinen gewohnten Weg zur Arbeit und kam wieder an dieser herrlich duftenden Parfümerie vorbei. Es war Sommer. Das Schaufenster wurde am Abend zuvor neu dekoriert.

Ein Badeanzug, der mir sofort ins Auge sprang, hatte zwischen teuren Flakons von noblem Parfüm seinen Platz gefunden. Seine Grundfarbe war weiß und auf dem Vorderteil waren großformatige Blumen; ich glaube es waren rote Lilien mit detailliert erkennbaren Staubgefäßen in leuchtend brillanten Farben gearbeitet. Die Töne Rot und Grün dominierten und machten ihn zu einem absoluten Blickfang. Ich konnte nicht anders - blieb genau vor dem Schaufenster stehen und himmelte in Gedanken versunken dieses Teil an. Ich fand ihn einfach nur wunderschön, famos und umwerfend.

Sofort ging mir durch den Kopf, 'ob er mir stehen würde…?!' Der Preis holte mich auf den Boden zurück – DM 129,00. Ich zog die Augenbrauen hoch und krauste die Stirn; mein Portemonnaie ließ diesen Luxus für mich nicht zu.
DM 129,00 waren zu der Zeit enorm viel Geld für mich. Wir hatten gebaut; mussten sparsam leben. Es wäre absolut purer Luxus gewesen für einen Badeanzug so viel Geld auszugeben und obwohl ich noch gar nichts Übermütiges gemacht hatte, außer: lediglich mit dem Gedanken gespielt, hatte ich bereits ein schlechtes Gewissen.

Ich ging weiter zu meiner Arbeitsstelle und dachte nicht mehr allzu viel darüber nach. ... meinte ich.

Am nächsten Tag, wie in den darauf folgenden Tagen besuchte ich meinen nach dem Freibad rufenden Aquatraum immer wieder. Ich wog ab, zwischen

- ob er mir nicht doch stehen würde,
- ob ich mir nicht doch einmal etwas ganz Besonderes leisten sollte  und
- ob ich nicht zu käsig dafür wäre,

immerhin war er in der Grundfarbe weiß, aber die farbenfrohe Blumenpracht war genau das, was ich zu der Zeit so trug, farbintensiv von knalligen Rot-, über Neon-Pink bis zu leuchtendem Orangetönen.

Er war edel, keine Frage! Es wäre nahezu filmreif, sich mit diesem Wahnsinnsteil ins Schwimmbad zu begeben. Ich wäre quasi eine Sophia Loren- oder Gina Lollobrigida-Kopie in jungen Jahren, ging mir durch den Kopf. Er war der Burner. Ja, so könnte man es nennen, er war das ultimative Nonplusultra – zumindest für mich und das seit dem Moment, wo

'ER '

mich gefunden hatte. Und das musste ja, ganz klarer Fall, irgendwie seinen Grund haben.

Gut, ich erzählte natürlich meiner ganzen Familie von IHM, 'dem Schönsten aller Schönen' und spätestens dann, wenn ich die
DM 129,00 erwähnte, kam eine abwinkende Handbewegung von jedweder Seite. Ich stieß familiär gebündelt auf Unverständnis, wobei meine Mutter ihre Meinung noch unterstrich, indem sie mir einen Vogel zeigte.

Kennt ihr das Gefühl, dass es da etwas gibt, was ihr unbedingt haben wollt und die Gründe es nicht zu kaufen überrollt werden von dem einzigen Grund zuzuschlagen?!

Ich meine mich erinnern zu können, dass ich zirka zwei Wochen gebraucht habe, bevor ich mich entschloss die besagte Parfümerie mit gemischten Gefühlen zu betreten. Mit einem überfreundlichen 'Kann-ich-Ihnen-behilflich-sein?' kam eine durchgestylte, puppenhaft geschminkte Verkäuferin, die wohl das ganze vorhandene Repertoire an Luxus-Make-up zur Schau trug, auf mich zu und lächelte mich unter einer wehenden Duftwolke breit an.

Ich fragte freundlich, ob ich den Einteiler aus dem Schaufenster anprobieren könnte und mit ihrem scheinbar eintätowierten Lächeln holte sie mir meinen Blütentraum in Größe ‚hau-mich-tot’ aus dem Fenster.
Ich trug ihn ehrfürchtig in die Umkleidekabine und zog mich bis auf die Unterwäsche aus, um vorsichtig in ihn 'hineinzuschlüpfen'.

Da stand ich nun vor dem Spiegel, wie eine graue Maus in Prada gehüllt. Die riesigen Blüten fluteten meinen 23-jährigen Körper und ICH war gar nicht ICH. Sie erdrückten meine kleine Gestalt und ich schrumpfte um gefühlte 15 cm. Die gepolsterten Soft-Cups und das gefütterte Vorderteil störten mich kolossal und mein durchaus schöner Busen verschwand unter einem massiven Schaumstoffpanzer.

'Nein, du Traum meiner schlaflosen Nächte –
ich denke nicht, dass wir Freunde werden.'
Meine Verehrung für ihn sank auf den Nullpunkt.

Ich zog wieder Jeans und T-Shirt an und übergab die luxuriöse Stretchhülle der mit der Welt um die Wette lächelnd duftenden Verkäuferin mit den Worten: "Vielen Dank, aber 'ER' steht mir leider nicht!".

Wer weiß, was sie dachte in diesem Moment -
... ich will’s gar nicht wissen!

Von da an, war 'ER ' kein Thema mehr für mich und sowieso – definitiv zu teuer!


Fazit:

Ich denke, man sollte sich vor allem selbst treu bleiben.
Ein ständiges 'in eine Hülle schlüpfen' ist nie gut, vor allem dann nicht, wenn sie einem Menschen in keinem Maße entspricht.

und …
man sollte sich hin und wieder etwas Besonderes gönnen, keine Frage –
aber es sollte dann nicht nur dem Körper, sondern vor allem der Seele schmeicheln.




© Monika Hoesch
aus meinem Leben gegriffen ;-)
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